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Billard Karambol - Allgemein - Kozoom Interview

Marco Zanetti - Heißes Temperament und eiskalte Siege

Gepostet von am 5. Juni 2013

Marco Zanetti - Heißes Temperament und eiskalte Siege

© Kozoom
Der stolze Italiener bei einem seiner wichtigsten Siege in diesem Jahr - das AGIPI Masters

BOZEN - Es gibt wohl niemanden, der daran zweifelt, dass Marco Zanetti der Mann des Jahres ist. Gerade holte er zum 22. Mal den italienischen Meistertitel im Dreiband. Und es war wieder ein spezieller Sieg, denn bei jedem seiner Siege in diesem Jahr gibt es Besonderheiten. Bei der Meisterschaft in seinem Heimatland waren es die Rekorde und die Einzelpartien (1x 3,750, 2x 3,636 Durchschnitt), mit denen er glänzte. Das Jahr 2013 ist das Jahr des stolzen Italieners. Unvergessen werden seine großen Siege bleiben, bei denen er in schier aussichtsloser Situation das Match noch gewann und am Ende seine diesjährigen Triumphe feierte. Nun steht Zanetti kurz vor einer neuen Mission. Dem Europalpokal-Finale in Schiltigheim, wo die eigene Mannschaft als Seriensieger und Titelverteidiger antritt. Exclusiv für Kozoom spricht er über diese emotionalen Momente und seine erstaunlichen Siege in diesem Jahr.

KOZOOM - Du bist im letzten Monat 51 Jahre alt geworden, ein "alter Wolf", aber mit sehr, sehr scharfen Zähnen. Es gibt wohl aktuell kaum einen Spieler, der so nervenstark ist. Wie siehst Du das selbst? Befindet sich Marco Zanetti mental in der stärksten Phase seines Lebens?

MZ - Zweifellos ist es die stärkste Phase in meiner Karriere und ich bringe im Moment bei den Einzelturnieren die guten Leistungen die ich so oft bei Mannschaftsspiele gezeigt habe. 

KOZOOM - Nach Deinem Sieg in Lausanne und beim Agipi Masters warst Du der Favorit auf den EM Titel in Brandenburg und hast das Turnier mit dem Rekord GD vom 2,500 gewonnen. Das passiert nicht so häufig. Ein Sieg mit Ansage? Wie erklärst Du Dir selbst diese Dominanz?

MZ - Ja, ein Turnier als Favorit zu spielen war für mich etwas Neues, aber ich habe versucht mich von dieser Rolle zu befreien und einfach Punkt für Punkt konzentriert zu spielen. Ich bin wirklich stolz auf diesen Hattrick und ich kann mich nicht erinnern (ich kann mich aber auch täuschen) dass jemand in der moderne Billardgeschichte, nach der langen Dominanz von Ceulemans, drei große internationale Wettbewerbe in Folge gewonnen hat. Ich war in jeder Partie voll dabei und habe in den entscheidenden Phasen die wichtigen Punkte immer gemacht.  Man darf aber nicht das Quäntchen Glück vergessen, das heutzutage immer nötig ist um Siege zu erreichen. 
Mein gutes Ergebnis letzte Woche bei der italienischer Meisterschaft  lässt mich hoffen, dass es mehr als eine kurze Phase in meiner Karierre ist. 

KOZOOM - Den Billardfans in aller Welt sind vor allen zwei Matches in Erinnerung. Das Halbfinale beim Agipi Masters gegen Dick Jaspers, dass Du nach 26 Punkten Rückstand noch gewonnen hast und das Halbfinale bei der EM, Deinen Sieg gegen Caudron, nachdem er seine Weltrekordserie (28 Pkt.) spielte. Kannst Du beschreiben, wie hoch der Stress bei dieses Matches war?

MZ - Gegen Dick Jaspers war es schon ein Kunststück 26 Punkte Rückstand in 2 Aufnahmen wieder aufzuholen. Danach waren wir beide ziemlich verkrampft und standen enorm unter Druck. Viele meiner Fans haben vor dem Bildschirm gezittert und gefiebert wie in einem Fußballstadium. Vielleicht habe ich es einfach nur ihnen zu verdanken, dass mein letzter Ball so glücklich gekommen ist. Auf jeden Fall war diese Partie eine meiner Spannendsten überhaupt und ich werde nie vergessen, wie erschöpft ich mich danach fühlte, so als hätte ich den Mount Everest erobert!.

Das Halbfinale in Brandenburg gegen Frederic Caudron war wirklich außergewöhnlich. Nach meinem guten Start, beim Punktestand von 15:3 für mich kam dann seine magische Serie von 28. Die Partie war aber noch nicht beendet und plötzlich erinnerte ich mich an alle wichtigen Siege der letzten Monate, fast jedesmal lag ich zurück; "Mensch, wenn du nun auch diese Partie noch packen könntest dann würdest du eine neue Seite in der Geschichte des Dreibandsportes schreiben..........geht das überhaupt noch? Na, probieren wir es....." diese Gedanken sind mir durch den Kopf gegangen und dann war ich plötzlich voller Billardtrance und voller Action...eine unvergessliche Partie! Ich fühlte mich wirklich ruhig und gelassen und habe erst bei den letzten zwei Punkten richtigen Druck gespürt. 
Bemerkenswert ist auch, dass ich bis jetzt von ca. 2 Dutzend Menschen gehört habe, dass sie am Ende der Partie mitgeweint haben.... und das nicht in meiner Heimat!

KOZOOM - Du wirkst immer sehr selbstsicher und entspannt, auch in schwierigen Situationen am Tisch, aber wie ist es, wenn Du auf dem Stuhl sitzt und Dein Gegner punktet, so wie Caudron in Brandenburg, was geht Dir da durch den Kopf? Gibt es auch Gedanken an eine Niederlage? 

MZ - Gerne teile ich mit den Kozoom-Lesern meine Empfindungen in dieser Situation: Caudron's Serie von 28 kam im richtigen Moment, da fürhte ich mit 15:3; als er 10 Punkte hatte war ich noch in Führung und gelassen, als der 20. Punkt kam lag ich dann plötzlich zurück, aber gleichzeitig nahm meine Bewunderung für meinen Gegner, Agipi-Mannschaftskamerad und neuen namhaften Longoni-Boy immer mehr zu. Wohl auch deshalb, weil für mich solch hohe Serien unmöglich sind. Wenn ich eine Serie von 17-18 habe spüre ich einfach zu viel Druck.
Als Caudron den 29. Punkt (neuer Weltrekord) ausgelassen hat, habe ich es richtig bedauert und mit ihm gelitten.... !
Gleich danach kam die Pause, das hat mir sehr gut getan, da konnte ich mich wieder fangen und mich für den Rest der Partie erneut konzentrieren. 
Wenn ich auf meinem Stuhl sitze geht mir im Allgemeinen extrem viel durch den Kopf, oft sind es mehr Gefühle und nicht nur Gedanken, wie man damit umgeht ist eine Sache der Erfahrung und der Tagesauffassung.

KOZOOM - Du bist der Kapitän im Agipi Team in der französischen Liga und spielst ein paar Matches in Österreich. Ansonsten nur Weltcups und Meisterschaften. Nicht viel, im Vergleich zu Deinen Kollegen. Brauchst Du die Pausen für Deine Erholung und die Familie? 

MZ - Um ehrlich zu sein, ich habe keine andere Angebote aus anderen Ländern bekommen. 
In Innsbruck spiele ich einfach aus besonderen Gründen, da ich sehr befreundet bin mit Thomas Riml, der Gründer von Mywebsport (real Billard spielen auf Entfernung weltweit). Das hat nicht mit Profi sein zu tun. 
Ansonsten liebe ich ambitionierte Projekte und gebe alles um meine Verpflichtungen so gut wie möglich zu erfüllen. 

KOZOOM - Die CEB und UMB, die beiden großen Verbände, versuchen mit vielen Änderungen, den Billardsports attraktiver zu gestalten. Brandenburg war als Mega-Event das jüngste Projekt der CEB. Du warst und bist immer ein kritischer Beobachter der Verbände. Wie beurteilst Du die aktuellen Änderungen (kein Satzsystem mehr, Brandenburg als Mega Veranstaltung aller zwei Jahre) ? Gibt es Änderungen, die Du Dir wünschen würdest, im Interesse unseres Sportes?  
                                            
MZ - Das Dreibandspiel befindet sich in einer unglaublichen Entwicklung. Ein technisches Niveau, dass immer näher der Perfektion kommt, grossartige Spieler aus so vielen verschiedenen Nationalitäten, ein Kampf zwischen verschiedenen Generationen und die Einführung der Zeitbegrenzung. All dies bietet dem Zuschauer höchsten Genuss und Spannung. 
Die Partien auf langer Distanz gibt im Vergleich zu dem Satzsystem eine besser planbare Dauer der Matches und das ist heute für das Fernsehen unentbehrlich für die Zeitprogrammierung. Wir heissen nicht Tennis und wir können nicht verlangen live am Fernsehen aufzutreten wenn unsere Satzpartien  eine ungewisse Länge zwischen 1 und 3 1/2 Stunden haben, das war immer ein Argument vom Fernsehen. 
Eine Partie auf lange Distanz auf 40 Punkte dauern hingegen im Durchschnitt zwischen 75 und 100 Minuten.  
Gewisse Spiele bieten höchster Spannung und Show-pur, zum Beispiel das Halbfinale in Brandenburg und wir haben dem Snooker gar nichts zu beneiden.
Ich würde aber gerne die Partien bei den Hauptturnieren auf 50 Punkte spielen, 40 ist definitiv zu kurz.
Zu den Ceulemans-Zeiten, wo der Gesamtdurchschnitt aller Teilnehmer klar unter 1,000 lag, spielten sie auf 60 Punkte, heute im Vergleich ist dieser Parameter auf unglaubliche 1,500 gestiegen, wir spielen aber auf 40, das finde ich doch ein absoluter Wiederspruch. 
Ich finde auch sehr seltsam, dass die Einführung dieser Distanz von den internationalen Verbänden eingeführt wurde ohne jemals die Meinung der Topspieler zu erfragen, da hätten alle mindestens 50 Punkte vorgeschlagen.
Halbfinale und Finale auf 60 wäre noch schöner, eine Partie würde dann vielleicht 2 bis 2 1/2 Stunden dauern. 
Meiner Meinung nach liegen die großen Unterschiede in der Medienpräsenz zwischen Dreiband und Snooker in zwei wesentlichen Faktoren: Einerseits die geographisch ganz andere Lage, wo Snooker durch die Konzentration von Spielern, Fernsehen und Sponsoren in England alles leichter macht, andererseits die unterschiedliche Begabung der Verbände. Die Snookerwelt arbeitet mit großen Ambitionen um den Billardsport so zu präsentieren wie es sich jeder wünschen würde im Dreiband. 
Gerade jetzt und heute, ohne mehr zu zögern, sehe ich als extrem aktuell dass unsere Verbände sich mehr engagieren um internationale tv Übertragungen zu schaffen. Die nationale Übertragungen sind zwar wichtig für die lokale Veranstalter  um ihren Sponsoren zu befriedigen aber das ist definitiv nicht genug. 
Ohne das Agipi Billiard Masters live bei Eurosport2 würden wir nicht ein einziges Mal im internationalen Fernsehen live auftreten, das ist unglaublich aber wahr.
Ich fordere die internationalen Verbänden auf neue gemeinsame Wege zu gehen ansonsten wird unser fantastischer Billardsport immer nur kleiner und unbekannter.

KOZOOM - Zwei Comeback Fragen: 1. Sehen wir Marco Zanetti wieder in Viersen für die italienische Mannschaft? 2. 1985 warst Du Dritter bei der EM im Einband hinter Ceulemans und Dielis. Kannst Du Dir vorstellen, wieder ein Turnier im Einband zu spielen? 

MZ - Es ist durchaus möglich das ich wieder in Viersen auftreten werde wenn ich klar und offensichtlich gefragt werde vom meinem italienischen Billardverband FIBIS. 
Solange ich aber selber dafür frei entscheiden kann werde ich nicht an Viersen teilnehmen solange es dort nicht ein ordentliches Preisgeld gibt. 
Italien hat auf jeden Fall ganz niedrige Chancen auf einen Podest in Viersen aber das hat nichts damit zu tun, bei mir geht es um das Prinzip, bei der EM in Brandenburg gab es ein ordentliches Preisgeld auch für die Mannschaften, warum soll es bei einer WM anders sein?

Zur zweiten Frage, ich werde nicht wieder Einband spielen, das Dreibandspiel ist ein Universum wo man immer etwas Neues entdecken kann und das nimmt genug Zeit und Aufwand in Anspruch. 

KOZOOM - Du bist als Trainer ein gefragter Mann. Nach dem bedauerlichen Tod des deutschen Bundestrainers Werner Naruhn steht die deutsche Nationalmannschaft ohne Trainer da. Wenn man Dich fragen würde, ob Du diesen Job übernehmen möchtest, wie würdest Du Dich entscheiden?

MZ - Nur im Falle eines wirklich interessanten  Angebotes der DBU könnte ich es mir ernsthaft überlegen. 
Allerdings gibt es auch einen Konflikt, da ich selbst noch lange aktiv spielen werde. Und dann ist es schwierig einerseits den Auftrag richtig zu erfüllen und andererseits die eigene Konkurrenz damit noch stärker zu machen.


Marco, wir danken Dir für dieses Interview und wünschen Dir sportlich und privat alles Gute und viel Erfolg bei den kommenden Turnieren

 

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